FOMO

Richard Petersen • 12. Dezember 2025

Die stille Angst, etwas zu verpassen

"Fear of Missing Out" ist die Angst etwas zu verpassen und ein Phänomen unserer digitalen Zeit. Ich erkläre dir psychologische Ursachen, erzähle von prominenten Beispielen und zeige dir Wege, wie man "FOMO" im Alltag entschärft.


Es beginnt oft mit einem schnellen Blick aufs Handy. Ein harmloser Impuls, der sich in eine Lawine aus Bildern, Nachrichten und vermeintlichen Höhepunkten verwandelt. Freunde zeigen einen Strand in Portugal, Bekannte posten Erfolge im Beruf und Influencer präsentieren perfekte Momente eines perfekten Lebens. Im selben Augenblick spürt man eine leichte Unruhe, als würde man auf einer Tribüne sitzen und zusehen, wie alle anderen das wahre Leben führen.

Dieses Gefühl hat einen Namen. "Fear of Missing Out". Die stille Angst etwas zu verpassen. Eine innere Stimme, die flüstert, dass alle anderen mehr erleben, mehr erreichen oder glücklicher sind. "FOMO" ist nicht nur ein Phänomen der digitalen Zeit, aber die sozialen Medien haben es auf ein neues Level gehoben.

Obwohl es sich modern anhört, wurzelt diese Angst in uralten Mechanismen unserer Psyche. In früheren Jahrhunderten wusste man nicht, was der Nachbar gerade tat, geschweige denn jemand in einem anderen Land. Heute wird jeder Moment öffentlich. Jede Reise, jede Party, jeder Erfolg. In Echtzeit.

Die Welt lässt sich jederzeit vergleichen und ein Vergleich fällt selten zu unseren eigenen Gunsten aus. Denn wir sehen nur die Glanzmomente anderer Menschen, nie ihre Zweifel oder Mühen. Die sozialen Medien sind eine Bühne für Höhepunkte und es ist schwer, sich nicht von dieser Inszenierung täuschen zu lassen. Diese weltweite Inszenierung erzeugt Vergleiche, die unser Gehirn ernst nimmt, obwohl sie nur Ausschnitte sind. Wir sehen die Höhenpunkte anderer Menschen und halten sie für ihren Alltag. Kein Wunder, dass FOMO immer stärker wird.

Ein bekanntes Beispiel zeigt, dass FOMO selbst diejenigen trifft, die nach außen alles haben. Die Sängerin Adele berichtete in einem Interview, wie sehr sie nach der Geburt ihres Sohnes das Gefühl hatte, andere Künstlerinnen würden sie überholen. Während sie still und unsichtbar wurde, sah sie in den Medien, wie Kolleginnen Preise gewannen, weltweit tourten und neue Musik veröffentlichten. Obwohl Adele zu den erfolgreichsten Musikerinnen unserer Zeit gehört, fühlte sie sich plötzlich abgehängt. Dies beweist etwas Entscheidendes. FOMO hat nichts mit tatsächlichem Erfolg zu tun, sondern mit dem Gefühl den Anschluss zu verlieren.

Psychologisch betrachtet entsteht FOMO aus einem tiefen menschlichen Bedürfnis. Der Wunsch dazuzugehören. In der Steinzeit war es gefährlich ausgeschlossen zu sein. Isolation bedeutete Bedrohung. Unser Gehirn reagiert noch heute darauf, als wäre soziale Trennung ein Risiko für unser Überleben. Wenn wir sehen, wie andere Menschen Erlebnisse teilen und wir selbst nicht dabei sind, aktiviert das im Gehirn Stressreaktionen. Es ist ein Echo alter Überlebensinstinkte in einer modernen Welt.

FOMO entsteht, wenn wir unser eigenes Leben durch die Augen anderer bewerten. Das Gehirn reagiert auf solche Vergleiche mit Stress, Anspannung und dem Drang sofort nachzuziehen. Viele Menschen erleben dadurch das Gefühl chronischer Unzufriedenheit. Sie fühlen sich getrieben, ständig erreichbar sein zu müssen oder jede Chance zu nutzen, auch wenn sie eigentlich Ruhe brauchen. Einige Menschen verlieren sogar den Bezug zum eigenen Tempo und versuchen ein Leben zu führen, das eher der Welt eines sozialen Feeds entspricht als ihrer eigenen Realität.

Doch FOMO hat eine Kehrseite, die man leicht übersieht. Es zeigt oft, dass in uns ein unerfüllter Wunsch steckt. Vielleicht der Wunsch nach mehr Nähe, Abenteuer, Kreativität oder Selbstbestimmung. Wenn man genau hinschaut, kann dieses Gefühl ein Hinweis sein, dass man eine Veränderung braucht, die nichts mit anderen Menschen zu tun hat. Nicht das Festival auf Ibiza oder der berufliche Erfolg eines Freundes ist es, was uns fehlt. Oft ist es eine eigene Sehnsucht, die wir lange ignoriert haben.

Man kann lernen, mit FOMO besser umzugehen. Ein erster Schritt besteht darin, bewusst Medienpausen einzulegen. Das ständige Beobachten anderer erzeugt künstliche Maßstäbe, die wir niemals erfüllen können. Wenn wir stattdessen im eigenen Leben ankommen, spüren wir schnell eine Entlastung. Ein zweiter Schritt ist Dankbarkeit. Wenn wir uns auf das konzentrieren, was bereits gut ist, verliert der Vergleich an Macht. Das Gehirn wird ruhiger, und das Gefühl von FOMO schwächt ab.

Der wichtigste Punkt ist jedoch ein anderer. Unser Leben muss nicht spektakulär sein, um erfüllt zu sein. Es sind oft die leisen Momente, die wohltuend sind. Gespräche, Ruhe, kleine Fortschritte, echte Nähe. FOMO hat die Tendenz, diese subtilen Glücksquellen zu übertönen. Doch wer lernt, den eigenen Rhythmus zu achten, wird feststellen, dass nichts verloren geht. Im Gegenteil. Die Angst etwas zu verpassen verwandelt sich in die Freude bewusst zu wählen, was einem guttut.

Am Ende ist Fear of Missing Out nicht nur eine Angst. Es ist ein Spiegel. Er zeigt uns, wie sehr wir uns nach Verbindung und Bedeutung sehnen. Und vielleicht erinnert er uns daran, dass unser wertvollster Moment immer der ist, in dem wir wirklich anwesend sind. Nicht dort, wo andere gerade sind, sondern dort, wo wir selbst stehen.


In diesem Sinne, vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,

Richard


P. S. Die maskuline Schreibweise dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.

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