Umerzogen ins Unglück
Warum Konversionstherapie keine Therapie ist
Therapie oder Tortur? Die bittere Wahrheit über Konversionstherapie
„Ich dachte, ich sei krank – dabei war ich einfach nur ich.“
Samuel Brinton, Überlebender sogenannter Konversionstherapie
Zwei Geschichten, zwei Leben – ein schmerzhafter Mythos
Samuel Brinton war gerade mal zwölf Jahre alt, als ihre Eltern sie zu einer sogenannten „Therapie“ schickten. Samuel identifizierte sich als nichtbinär und queer – für die streng religiöse Familie ein inakzeptabler Zustand. Der Therapeut versprach „Heilung“. Stattdessen bekam Samuel beigebracht, dass ihre Gefühle eine „Sünde“ seien.
Sie wurde gezwungen, Eisbäder zu nehmen, man zeigte ihr gewalttätige Pornografie zur Abschreckung, beschämte sie, bis sie selbst daran glaubte, kaputt zu sein.
Jahre später überlebte Samuel mehrere Suizidversuche und kämpfte sich mühsam zurück ins Leben. Heute ist sie Aktivistin und war unter Präsident Biden sogar Teil der US-Regierung – als offene Stimme gegen Konversionstherapie.
David Reimer, die vielleicht tragischste Geschichte von allen, wurde nicht wegen seiner sexuellen Orientierung „umgepolt“, sondern wegen seiner Identität.
David Reimers tragische Geschichte nahm ihren Anfang mit einem medizinischen Fehler bei einer Beschneidung. Als David – damals noch unter dem Namen Bruce Reimer – etwa acht Monate alt war, sollte er aufgrund einer Vorhautverengung (Phimose) gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Brian beschnitten werden.
Dabei kam es zu einem katastrophalen Unfall. Anstelle eines Skalpells wurde ein Elektrokautergerät (ein elektrisches chirurgisches Instrument) verwendet, das Davids Penis vollständig verbrannte und irreparabel zerstörte.
Die Eltern, völlig überfordert und voller Sorge um die Zukunft ihres Kindes, wandten sich an den renommierten Sexualforscher Dr. John Money. Dieser war ein früher Verfechter der Theorie, dass Geschlechtsidentität vor allem durch Erziehung und Sozialisation entstehe – nicht durch Biologie. Er sah in David den "perfekten Beweisfall" für seine These.
Auf Moneys Anraten hin ließen die Eltern David im Alter von 22 Monaten kastrieren und als Brenda weiter aufziehen – mit Kleidern, Puppen, einem neuen Namen und gezielten psychologischen Sitzungen. Die angebliche Therapie war in Wahrheit ein Experiment an einem lebenden Kind. David litt sein ganzes Leben unter Identitätskonflikten, sozialer Isolation und psychischem Schmerz. Er kehrte als Jugendlicher zu seiner männlichen Identität zurück – aber die seelischen Wunden blieben. Mit 38 Jahren nahm sich David das Leben.
„Man kann aus einem Jungen kein Mädchen machen.“
David Reimer, BBC-Interview, 2000
Sein Schicksal gilt heute als ein erschütterndes Mahnmal gegen sogenannte Geschlechtsumwandlung ohne Einwilligung und gegen jeden Versuch, Identität von außen zu diktieren.
Diese zwei Geschichten – eine aus der Vergangenheit, eine aus jüngerer Zeit – stehen stellvertretend für tausende Menschen, deren Leben durch sogenannte „Therapien“ zerstört wurden, die nicht heilen, sondern verletzen.
Konversionstherapie – auch bekannt als Reparativtherapie oder Umpolungstherapie – ist der Versuch, die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität eines Menschen zu verändern. Homosexuelle Menschen sollen hetero „gemacht werden“, Transpersonen sollen sich wieder mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht „identifizieren“.
Doch was sich auf den ersten Blick wie eine Therapie anhört, ist in Wahrheit eine tiefgreifende Menschenrechtsverletzung und eine pseudowissenschaftliche Praxis, die längst als gefährlich entlarvt wurde.
Die Grundannahme ist ebenso falsch wie fatal, dass queere Identitäten Ausdruck einer Störung oder Krankheit seien. Dass sie „behandelt“, „bekämpft“ oder gar „geheilt“ werden müssten. Dabei sind Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit keine Krankheiten – und es gibt nichts zu heilen.
Trotzdem kommen bei Konversionstherapien weltweit immer wieder erschreckende Methoden zum Einsatz:
- Psychische Manipulation: Schuldgefühle, religiöse Drohungen, Isolation von Familie und Freunden
- Aversionstherapien: Elektroschocks, Brechmittel, Schmerzreize bei homoerotischen Gedanken
- „Gebetstherapien“ und Exorzismen: Rituale zur „Austreibung“ queerer Anteile
- Zwangsmedikation: Beruhigungsmittel, Hormonblocker, psychiatrische Aufenthalte unter falschem Vorwand
Das Resultat ist nicht etwa „Heilung“, sondern tiefes Leid. Viele Betroffene entwickeln Angststörungen, Depressionen oder suizidale Gedanken. Sie verlieren das Vertrauen in sich selbst – und oft auch in jede Form von medizinischer oder seelsorgerischer Hilfe.
„Es ist keine Therapie. Es ist ein Versuch, den Kern deiner Identität auszulöschen.“
Matthew Shurka, Überlebender und Gründer von Born Perfect
Die Ursprünge der Konversionstherapie liegen im 19. und 20. Jahrhundert, als Homosexualität noch als Krankheit galt. Manche Therapeuten versuchten es mit Elektroschocks, andere mit Hypnose oder Aversionstherapie, zum Beispiel durch das Zeigen homoerotischer Bilder in Kombination mit Brechmitteln.
Doch auch heute, im 21. Jahrhundert, wird Konversionstherapie in einigen Teilen der Welt noch immer angeboten – oft getarnt als
„Seelsorge“,
„Coaching“ oder
„Behandlung“.
Dabei ist die wissenschaftliche Faktenlage eindeutig:
Die American Psychological Association, die WHO, die Deutsche Bundesärztekammer – sie alle sind sich einig:
- Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind nicht veränderbar
- Der Versuch, sie zu ändern, ist schädlich
- Konversionstherapie hat keinerlei therapeutischen Nutzen
In Deutschland ist sie seit 2020 für Minderjährige verboten, doch das Gesetz hat Lücken. Viele Angebote existieren weiter – vor allem in freikirchlichen Kreisen, unter dem Deckmantel von „Seelsorge“ oder „persönlicher Entwicklung“.
Trotz jahrzehntelanger Kritik ist Konversionstherapie weltweit immer noch Realität – manchmal offen, oft versteckt.
Wo sie heute noch praktiziert wird:
- USA: In 20 Bundesstaaten ist Konversionstherapie für Minderjährige noch legal. Vor allem konservative und evangelikale Gruppen bieten sie an – unter dem Deckmantel von „Gebetsgruppen“ oder „Seelsorge“.
- Russland, Polen, Ungarn: In Ländern mit wachsendem Anti-LGBTQ+-Kurs wird queere Identität offen bekämpft. Konversionstherapie wird als moralische Rettung verkauft – mit staatlicher Duldung.
- Afrika und Asien: In Ländern wie Nigeria, Uganda, Indonesien oder Malaysia wird Konversionstherapie mit teils brutalen Methoden durchgeführt – oft kombiniert mit Zwangslagern, religiösem Fanatismus oder medizinischer Gewalt.
- Lateinamerika: In Ecuador und Brasilien gab es Berichte über geheime Kliniken, in denen Jugendliche gegen ihren Willen „therapiert“ wurden – häufig mit Unterstützung der eigenen Familien.
Auch in Deutschland? Leider ja!
- Volljährige dürfen sich „freiwillig“ behandeln lassen – auch wenn sie massiv unter Druck stehen.
- Anbieter tarnen ihre Angebote als „Identitätscoaching“, „Lebensberatung“ oder „spirituelle Begleitung“.
- Besonders Freikirchen, evangelikale Gruppen und konservative Netzwerke sind aktiv – oft unter dem Radar der Öffentlichkeit.
Konversionstherapie wird selten offen angeboten. Stattdessen begegnet sie uns in harmlos klingenden Begriffen:
- „Identitätsberatung“
- „Sexuelle Reinheit“
- „Begleitung bei inneren Konflikten“
- „Therapie gegen gleichgeschlechtliche Neigungen“
Doch das Ziel bleibt dasselbe: Menschen davon zu überzeugen, dass sie falsch sind – und sich ändern müssen.
„Ich habe Jahre gebraucht, um zu erkennen: Ich war nie das Problem.“
– Samuel Brinton
Ein letzter Gedanke:
„Die schlimmste Lüge, die man mir erzählt hat, war: Du bist falsch.“
– anonymes Überlebenden-Zitat
Konversionstherapie ist keine Therapie. Sie ist Gewalt im Gewand der Fürsorge.
Und sie hat keinen Platz in einer Welt, die Menschlichkeit ernst nimmt.
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Denn Schweigen schützt die Täter – Reden rettet Leben.
In diesem Sinne, vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,
Richard
P. S. Die maskuline Schreibweise dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.