Das "Spiel" mit der Angst

Richard Petersen • 7. November 2025

Die unsichtbare Kette

Angst ist eine der mächtigsten Emotionen, die der Mensch kennt. Sie kann uns lähmen, unsere Entscheidungen beeinflussen und sogar den Verlauf der Geschichte verändern. Während Angst in vielen Fällen als Schutzmechanismus dient, kann sie auch eine unsichtbare Kette sein, die uns in unserer Freiheit einschränkt.

In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die tiefgreifenden Auswirkungen von Angst in der Vergangenheit und Gegenwart. Wir untersuchen, wie sie das menschliche Verhalten prägt und welche Rolle sie in der modernen Welt spielt.  Von der politischen Manipulation bis hin zu existenziellen Ängsten über die Zukunft.


Schon im antiken Griechenland spielte Angst eine zentrale Rolle im Leben der Menschen. Die Götter waren allmächtig, und ihre Willkür konnte das Schicksal eines jeden Einzelnen bestimmen. Die Menschen suchten Rat bei den Orakeln, insbesondere beim berühmten Orakel von Delphi, um zu erfahren, was die Götter für sie vorgesehen hatten. Diese Götterfurcht und die Angst vor dem Unbekannten wurden von den Herrschern geschickt genutzt, um Kontrolle auszuüben und den Willen der Götter als legitimierende Machtquelle zu nutzen.

Die Angst vor der göttlichen Strafe oder der göttlichen Ungnade spielte eine bedeutende Rolle in der politischen Ordnung. Herrscher behaupteten, im Auftrag der Götter zu regieren, und nutzten diese Angst, um ihre Macht zu festigen. Die Vorstellung, dass das Handeln der Menschen vom göttlichen Willen abhängt, schuf eine kollektive Angst, die das gesellschaftliche Leben tief prägte. Diese Art der Angst schuf nicht nur eine starke gesellschaftliche Bindung, sondern auch eine Kultur der Unterordnung und geistigen Knechtschaft.


Im Mittelalter und der frühen Neuzeit erlebte Europa eine Ära der Hexenverfolgung, die eng mit Angst und Angstmanipulation verknüpft war. Der Glaube an Hexerei und Teufelsanbetung führte zu einer weit verbreiteten kollektiven Panik. Menschen wurden angeklagt, Hexen zu sein, und oftmals aufgrund von falschen Anschuldigungen oder politischen Motivationen verbrannt oder auf andere grausame Weise bestraft. Diese Periode zeigt, wie Angst als Herrschaftsinstrument genutzt wurde, um soziale Kontrolle auszuüben und den Machtanspruch von Institutionen wie der Kirche zu untermauern.

Die Angst vor Hexen und Teufelswerken wurde durch die Kirche und das herrschende Establishment geschürt, das mit dem Verdacht und der Angst der Bevölkerung spielte, um Abweichungen von der Norm zu unterdrücken. Dies führte zu einer Welle von moralischer Panik, bei der ganze Dörfer und Städte durch den Angstmechanismus in ihrem Denken und Handeln beeinflusst wurden. Die Hexenverfolgung zeigt, wie Angst die Fähigkeit der Menschen beeinträchtigen kann, rationale Entscheidungen zu treffen, und wie sie die Strukturen von Macht und Kontrolle aufrechterhält.


In der modernen Welt hat die Angst vor Terrorismus eine der größten Veränderungen in der Art und Weise bewirkt, wie Gesellschaften ihre Freiheit und Sicherheit abwägen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erlebte die westliche Welt einen dramatischen Anstieg von Überwachungsmaßnahmen und staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre. Sicherheitsgesetze, wie der Patriot Act in den USA, ermöglichten es der Regierung, weitreichende Überwachungsprogramme zu implementieren, um die Bevölkerung vor potenziellen Bedrohungen zu schützen.

Doch hier stellt sich eine zentrale Frage. Wie viel Freiheit sind wir bereit, für Sicherheit zu opfern? In vielen Ländern führte die Angst vor Terrorismus zu einer Kompromittierung der Privatsphäre, und immer mehr Menschen fanden sich unter staatlicher Beobachtung wieder. Die Angst vor terroristischen Angriffen, die durch mediale Berichterstattung und staatliche Propaganda geschürt wurde, hat zu einer gesellschaftlichen Normalisierung von Überwachung geführt. Wir geben einen Teil unserer Freiheiten auf, um uns vor einer unbekannten Bedrohung zu schützen.

Doch dieser Zustand der permanenten Angst und Überwachung hat auch weitreichende Folgen für das kollektive Wohlgefühl. Angst kann unser Verhalten so weit beeinflussen, dass wir uns nicht nur von anderen Menschen, sondern auch von den Prinzipien der freien Gesellschaft entfernen. Was passiert, wenn die Gesellschaft von Angst vor dem Unbekannten so durchdrungen wird, dass sie ihre eigenen Werte hinterfragt?


Die psychologische Grundlage der Angst ist tief in unserem Gehirn verankert, insbesondere in der Amygdala, einem Bereich des Gehirns, der für die Verarbeitung von Emotionen verantwortlich ist. Wenn wir mit einer Bedrohung konfrontiert werden, aktiviert die Amygdala das Fight-or-Flight-System, das den Körper auf entweder Kampf oder Flucht vorbereitet. Dieser evolutionäre Mechanismus hat den Menschen über Jahrtausende geholfen, in gefährlichen Situationen zu überleben.

Doch in der modernen Welt sind die Bedrohungen oft abstrakt und nicht greifbar, was die Angst noch intensiver macht. Die kollektive Panik, die in Krisenzeiten oder bei Naturkatastrophen entsteht, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie unser Gehirn nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich auf Angst reagiert. Wenn große Teile der Gesellschaft Angst verspüren, können diese Ängste in Massenpanik übergehen, was zu irrationalen Handlungen und der Zerstörung von sozialen Strukturen führen kann.


In der heutigen Zeit gibt es eine neue Art von Angst, die unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren zunehmend prägen wird. Die Angst vor dem Klimawandel, die Befürchtungen im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) und die Angst vor einem Verlust der Zukunft haben bereits jetzt eine enorme gesellschaftliche Wirkung. Diese existentiellen Ängste können lähmend wirken, wenn wir das Gefühl haben, die Probleme der Welt nicht lösen zu können.

ABER! Angst kann auch eine treibende Kraft sein. Der Klimawandel hat weltweit Bewegungen hervorgebracht, die auf Handlungsdruck setzen. Auch die Diskussionen rund um KI und deren Risiken könnten dazu beitragen, dass wir uns intensiver mit ethischen Fragen und Technologiepolitik beschäftigen. Die Angst vor der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen könnte so auch als Katalysator für Veränderungen und eine stärkere kollektive Verantwortung fungieren.


Angst ist eine unsichtbare Kette, die den Verlauf der Menschheitsgeschichte beeinflusst hat. Sie hat Krieg und Politik geprägt, sie hat Gesellschaften kontrolliert und sie hat Verhalten in Zeiten der Not beeinflusst. Doch in der modernen Welt könnte Angst auch zu einer treibenden Kraft für Veränderung werden. Die Herausforderung liegt darin, diese mächtige Emotion nicht nur als Bremsfaktor, sondern auch als Antriebskraft für positive Veränderungen zu verstehen und zu nutzen.


In diesem Sinne, vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,

Richard


P. S. Die maskuline Schreibweise dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.

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