Die unersättliche Kraft der Gier
Von der Antike bis zur Finanzkrise und darüber hinaus
Gier begleitet die Menschheit seit Anbeginn der Zivilisation. Sie ist älter als Geld, älter als Märkte, älter als Königreiche. Immer schon hat der Wunsch nach „mehr“ – mehr Reichtum, mehr Macht, mehr Besitz – Gesellschaften geprägt und verändert. Gier ist dabei kein rein materielles Phänomen, sondern tief in unserer Psyche verankert. Ein Motor, der uns antreibt, aber auch ein Abgrund, in den wir stürzen können. Gier ist eine der stärksten Triebkräfte des Menschen.
Psychologisch gesehen ist sie kein „Fehler“, sondern tief in uns verankert. Unser Gehirn belohnt Besitz, Macht und Status mit Dopamin. Doch dieses Glücksgefühl hält nur kurz, sodass wir immer mehr wollen. Ein Kreislauf ohne Ende.
Besonders gefährlich: Die Angst, etwas zu verpassen, wirkt stärker als die Freude am Gewinn. Diese sogenannte Verlustaversion erklärt, warum wir oft riskieren, alles zu verlieren, nur um „mehr“ zu haben als andere.
Ein Name ist bis heute sprichwörtlich für Reichtum: Krösus, der König von Lydien im 6. Jahrhundert v. Chr. Er häufte unfassbare Mengen an Gold an und ließ die ersten geprägten Münzen herstellen. Ein Meilenstein in der Geschichte des Geldes. Krösus war überzeugt, dass sein Reichtum ihn zu einem der glücklichsten Menschen mache. Doch der Athener Philosoph Solon belehrte ihn eines Besseren. Glück hänge nicht vom Reichtum ab, sondern davon, wie ein Leben ende. Krösus spottete – bis er alles verlor. In seinem Krieg gegen Kyros II. von Persien interpretierte er ein Orakel zu seinen Gunsten, aus Gier nach Macht und Expansion und wurde vernichtend geschlagen.
Krösus steht für eine uralte Wahrheit. Gier kann Reiche aufbauen, sie aber ebenso schnell zerstören.
Springen wir in das 19. Jahrhundert. Der Kalifornische Goldrausch (1848–1855) war einer der größten Massenanstürme der Geschichte. Hunderttausende strömten in die Goldfelder, im Traum vom schnellen Reichtum. Ganze Städte entstanden über Nacht und verschwanden ebenso schnell wieder, wenn die Goldadern erschöpft waren. Für manche war der Goldrausch ein Sprungbrett in die Freiheit. Für die meisten aber blieb er ein Traum, der in Armut, Krankheit oder Gewalt endete. Die Natur wurde verwüstet, indigene Völker verdrängt und eine ganze Region ins Chaos gestürzt. Der Goldrausch zeigt eindrucksvoll, wie kollektive Gier eine ganze Gesellschaft in Bewegung setzen kann, mit katastrophalen Folgen. Interessant ist, dass nicht die Goldsucher selbst, sondern Händler, Schaufelverkäufer und Gastronomen am meisten profitierten. Auch das zeigt ein psychologisches Muster. Die Gier anderer kann eine Geschäftsgrundlage für klügere Köpfe sein.
Kaum jemand verkörpert historische Gier so sehr wie John D. Rockefeller, der Gründer von Standard Oil. Ende des 19. Jahrhunderts schuf er das größte Ölmonopol der Welt und häufte ein Vermögen an, das inflationsbereinigt zu den größten aller Zeiten zählt. Rockefeller war ein Meister darin, Konkurrenten zu verdrängen, Preise zu manipulieren und ganze Märkte zu monopolisieren. Er wurde zum reichsten Mann seiner Zeit und gleichzeitig zur Symbolfigur der Maßlosigkeit. Erst spät in seinem Leben wandelte er sich zum großzügigen Philanthropen, stiftete Milliarden und legte damit den Grundstein für moderne Wohltätigkeit. Doch sein Name bleibt bis heute untrennbar mit der Schattenseite der Industrialisierung verbunden. Gier als Triebkraft für Fortschritt, aber auch für Ausbeutung.
Über 150 Jahre nach dem Goldrausch wiederholte sich das Muster. Diesmal nicht in staubigen Minen, sondern in glänzenden Bürotürmen. 2008 brach die Weltwirtschaft zusammen. Ausgelöst durch die Gier nach immer höheren Gewinnen im Finanzsektor. Banken vergaben Kredite, die nicht zurückgezahlt werden konnten, Investoren bauten immer riskantere Finanzprodukte, und die Aussicht auf schnelle Gewinne blendete jede Vernunft.
Die Herdenmentalität spielte eine zentrale Rolle. Wenn alle investieren, will niemand außen vor bleiben. So entstand ein kollektiver Sog der Gier, bis das Kartenhaus 2008 zusammenbrach. Millionen Menschen verloren ihre Existenz, während einige wenige Milliardengewinne erzielten.
Psychologisch betrachtet zeigt sich hier eine gefährliche Dynamik. Gier kann ansteckend sein. Sie funktioniert sozial ähnlich wie Emotionen in einer Menschenmenge. Je mehr sich dem Rausch hingeben, desto schwerer ist es, sich ihm zu entziehen.
Während Banken zusammenbrachen, flog ein gigantischer Finanzbetrug auf. Bernard Madoff war ein gefeierter Wall-Street-Investor, bis sein Lügengebäude 2008 einstürzte. Jahrzehntelang hatte er ein gigantisches Schneeballsystem aufgebaut. Anleger glaubten, er erwirtschafte stabile Gewinne, während er in Wahrheit die Einlagen der einen nutzte, um die Renditen der anderen auszuzahlen. Seine unersättliche Gier nach Reichtum und Anerkennung führte zum größten Finanzbetrug der Geschichte, mit Schäden von über 60 Milliarden Dollar. Tausende verloren ihre Ersparnisse, Stiftungen brachen zusammen, Existenzen wurden zerstört. Madoffs Name steht seitdem für die zerstörerische Seite menschlicher Habgier, die keine Grenzen kennt.
Die Psychologie der Gier und warum „mehr“ nie genug ist
- Evolutionsbiologisch: Vorratssicherung war überlebensnotwendig. Dieses alte Muster wirkt bis heute.
- Sozial: Wir vergleichen uns ständig mit anderen. Status zählt mehr als absolute Zahlen.
- Neurowissenschaftlich: Gier funktioniert wie eine Sucht. Das Dopamin-System verlangt immer höhere „Dosen“.
- Kognitiv: Menschen überschätzen ihre Kontrolle. Ein psychologisches Muster, das Gier befeuert.
Die Frage der Zukunft ist nicht, ob Gier uns begleitet, sondern wie wir mit ihr umgehen.
- Technologie: Gier nach Fortschritt treibt Künstliche Intelligenz, Biotech und Raumfahrt an. Sie kann Innovationen hervorbringen, oder gefährliche Machtkonzentrationen.
- Umwelt: Die Klimakrise zeigt, wie ungebremste wirtschaftliche Gier den Planeten gefährdet.
- Gesellschaft: Gleichzeitig suchen immer mehr Menschen nach Wegen, Gier zu zügeln. Durch Achtsamkeit, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung.
Vielleicht liegt die Zukunft nicht darin, Gier zu bekämpfen, sondern sie in konstruktive Bahnen zu lenken.
Gier ist ein Teil von uns. Sie hat Goldsucher angetrieben, Banker in Versuchung geführt und wird auch in Zukunft ganze Gesellschaften prägen. Sie ist gefährlich, weil sie grenzenlos ist, aber sie ist auch eine Kraft, die uns antreibt, Neues zu erschaffen.
Von Krösus bis hin zu Madoff. Gier ist ein roter Faden durch die Geschichte.
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Die Gier wohnt in uns allen. Die Frage ist nicht, ob wir sie haben, sondern ob wir sie meistern.
In diesem Sinne, vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,
Richard
P. S. Die maskuline Schreibweise dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.









