Hypnosepraxis am Sachsenwald       Richard Petersen 

Psychotherapie / Hypnosetherapie                                                   21465 Reinbek, Am Rosenplatz 8                               

Das Milgram-Experiment

Richard Petersen • März 01, 2024

Wie auch psychisch unauffällige und vollkommen harmlose Menschen zu Sadisten werden können.

Anhand zwei der berühmtesten psychologischen Experimente erkläre ich dir heute und auch in der kommenden Woche, wie leicht auch psychisch vollkommen gesunde und harmlose Menschen zum Sadismus verleitet werden können.


Allein aus ethischen Gründen würden solche Experimente heute nicht mehr durchgeführt werden. Für den Experimentleiter und Namensgeber des folgenden Beispiels hatte der Versuch bereits zur damaligen Zeit berufliche Konsequenzen. Aufgrund der Kritik zahlreicher Fachleute verweigerte die Havard University Stanley Milgram später eine Anstellung.


Das „Milgram-Experiment“ wurde erstmals 1961 in New Haven (Connecticut, USA) durchgeführt und sollte die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn diese in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen.

Das Experiment sollte ursprünglich dazu dienen, Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus sozialpsychologisch zu erklären. Dazu sollte die „Germans-are-different“-These geprüft werden, die davon ausging, dass die Deutschen einen besonders obrigkeitshörigen Charakter haben.


Das Experiment räumte auf mit unseren klassischen Vorstellungen von Gut und Böse.

Es hat gezeigt, dass selbst normale Menschen leicht ihre Hemmungen abstreifen, was die Anwendung von Gewalt betrifft. Dazu müssen sie noch nicht einmal angegriffen werden oder in einer außergewöhnlichen Zwangslage sein.

Es genügt manchmal, wenn jemand freundlich, aber bestimmt den Ton angibt.

Die Ergebnisse des Milgram-Experiments erschienen 1963 in einer Studie unter dem Titel "Eine Verhaltensstudie über Gehorsam".


Der Anlass des Experiments waren wie bereits erwähnt die schrecklichen Ereignisse in Deutschland, wo viele Menschen im Nationalsozialismus grausame Verbrechen begangen haben.

Man fragte sich: Hat das etwas zu tun mit der Persönlichkeit der Menschen? Sind die Deutschen viel schlechtere Menschen als andere Menschen? Oder hat es zum Teil auch mit der Situation zu tun?


Die Versuchspersonen wurden über eine Anzeige in der Lokalzeitung von New Haven gesucht. Die angegebene Gage von vier US-Dollar plus 50 Cent Fahrtkosten wurde schon für das bloße Erscheinen in Aussicht gestellt.

Das Experiment fand in der Regel in einem Labor der "Yale-University" statt und war in der Anzeige als unter der Leitung von Prof. Stanley Milgram stehend gekennzeichnet.


Vierzig Versuchspersonen wurden von Stanley Milgram (1933-1984) ausgewählt.

Ihnen wurde gesagt, es gehe um ein „Lernexperiment“. Und sie seien der „Lehrer“, der einer anderen Person – dem „Schüler“ – etwas beibringen müsse.

Es gehe um ein Gedächtnisexperiment mithilfe von Elektroschocks. Die Schüler sollten sich Wortpaare einprägen und anschließend wiedergeben. Wenn sie sie falsch wiedergeben, sollten sie mit Elektroschocks bestraft werden.


Teilnehmende des Experiments waren waren jeweils der Versuchsleiter (Experimentator), die eigentliche Versuchsperson (Lehrer) und  eine zweite „vermeintliche“ Versuchsperson (Schüler), wobei Versuchsleiter und Schüler in Wirklichkeit Schauspieler waren. Der gesamte Aufbau und Ablauf des Experiments glich einer Theaterinszenierung.


Mit jeder falschen Antwort wurde die Stromspannung um 15 Volt erhöht. Das heißt, sie wurde fiktiv erhöht. In Wirklichkeit wurde kein Stromschlag erzeugt, der Schüler wurde angewiesen, sich so zu verhalten, wie man es nun mal tut, wenn man Elektroschocks bekommt.


Spannung          Reaktion des „Schülers“

   75 V                 Stöhnen

   120 V               Schmerzensschreie

   150 V               Schmerzensschreie. Er sagt, dass er an dem Experiment nicht mehr teilnehmen will.

   200 V               Schreie, „die das Blut in den Adern gefrieren lassen“.

   300 V               Er lehnt ab, zu antworten.

   Über 330 V      Schweigen

 

Für jedes Zögern, jede Unsicherheit von Seiten der Lehrer gab es standardisierte Sätze für den Versuchsleiter, mit denen er die Lehrer zum Weitermachen aufforderte.


Satz 1: „Bitte, fahren Sie fort!“ Oder: „Bitte machen Sie weiter!“


Satz 2: „Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen!“


Satz 3: „Es ist absolut notwendig, dass Sie weitermachen“


Satz 4: „Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen!


Das überraschende Ergebnis der Studie war, dass über 60 Prozent der Teilnehmenden an diesem Experiment bereit waren, bis zu 450 Volt zu gehen und zu diesem Zeitpunkt zum Teil annehmen mussten, dass die andere Person gar nicht mehr am Leben war oder zumindest ohnmächtig war.

Und viele der Versuchspersonen sagten dann auch: „Ja, ich hätte mir vorstellen können, dass der Schüler wirklich ohnmächtig war oder sogar Schlimmeres."


Es gab bei den Versuchen übrigens keine wesentlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Das Experiment wurde später in anderen Kulturkreisen wiederholt. Überall mit ähnlichem Ergebnis. Auch 1970 in München. Hier war die Zahl derer, die dem Versuchsleiter bis zuletzt gehorchten, sogar noch etwas größer.


Dieses Experiment zeigt: Wir sind alle gefährdet. Das ist die schlechte Nachricht.

Die gute Nachricht ist, dass es bereits damals immer auch Menschen gegeben hat, die nein gesagt haben.

Die sich nicht haben anstecken lassen, die keinen Gehorsam gezeigt haben.


Übrigens gab es Unterschiede im Versuchsaufbau: Wenn der sogenannte "Schüler" unsichtbar hinter einer Wand saß, war die Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen größer, als wenn er im gleichen Raum war.


Manchmal wurden auch zwei weitere angebliche „Co-Lehrer“ hinzugezogen, die ab einem bestimmten Punkt Widerstand geleistet haben. Dies wiederum führte dazu, dass die Versuchsperson sich sehr viel stärker den Anweisungen des Versuchsleiters widersetzte. Nur noch 10 Prozent zogen dann die Qualen bis zu Ende durch.


Widerstand wächst, wenn andere sich beteiligen.


Eine Erkenntnis, die heute genutzt wird, wenn es darum geht, Zivilcourage zu trainieren. Denn ob sexuelle Belästigung in der U-Bahn oder Übergriffe auf Ausländer – hier verhalten sich viele nicht anders als die Versuchspersonen bei Milgram.

Alle sagen: "Da würde ich sofort was tun!"

Aber wenn Sie die Leute wirklich in die Situation bringen, geschieht es häufig, dass keiner irgendwas tut.


So lange, bis ein Erster kommt, der doch einschreitet. Dann wächst die Bereitschaft zum Widerstand.

Auch das: Wie bei Milgram.


In der nächsten Woche berichte ich von einem noch berühmteren Experiment, dass auf geradezu schockierende Art zeigt, wie schnell auch ganz "normale" Menschen, ein nie erwartetes Verhalten zeigen, wenn sie Macht über andere Menschen bekommen.

Bleibt gespannt.



Vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,

Richard


P. S. Wenn ich die maskuline Schreibweise verwendet habe, dann wegen der besseren Lesbarkeit, oder wenn die handelnden Personen ausschließlich Männer waren. Anderenfalls sind selbstverständlich immer alle Geschlechter angesprochen.

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