Hypnosepraxis am Sachsenwald       Richard Petersen 

Psychotherapie / Hypnosetherapie                                                   21465 Reinbek, Am Rosenplatz 8                               

Das Stanford-Prison-Experiment

Richard Petersen • März 08, 2024

Wie auch psychisch unauffällige und vollkommen harmlose Menschen zu Sadisten werden können. Teil 2

Hier nun das zweite Beispiel dafür, wie schnell psychisch stabile Menschen zu sadistischen Handlungen verleitet werden können.

Im "Milgram-Experiment" ging es darum zu beschreiben, welche Kraft das Einfordern von Gehorsam entfalten kann und wie tief ein starkes "Obrigkeitshörigkeit" in vielen Menschen verankert ist.


Heute wirst du sehen, was passieren kann, wenn Menschen plötzlich Macht über andere Menschen bekommen.


Das "Stanford-Prison-Experiment" des kalifornischen Sozialpsychologen Philip Zimbardo gehört zu den bekanntesten Experimenten der Psychologie.


Aus wissenschaftlicher Sicht gelten Versuchsaufbau und -verlauf heute allerdings als fragwürdig!

Trotzdem hatte es einen großen Einfluss.


Hierzulande ist das "Stanford-Prison-Experiment" vor allem durch den Film "Das Experiment" mit Moritz Bleibtreu bekannt geworden.


Das "Stanford-Prison-Experiment" hat gezeigt, wie auch intelligente und zuvor als geistig völlig gesund eingestufte Menschen sich Rollen aneignen und zu Sadisten werden können.

Und so ging es los:


„Männliche Studenten für eine psychologische Untersuchung des Gefängnislebens gesucht. Tagesverdienst 15 $.“ 


So stand es in einer Lokalanzeige im kalifornischen Palo Alto 1971. Siebzig junge Männer meldeten sich. Es waren Studierende der Elite-Uni Stanford.

Nach einem Losverfahren wurden sie aufgeteilt. Die eine Hälfte wurde zu "Gefangenen" erklärt, die andere zu "Wärtern".

Um diese Rollen so realistisch wie möglich auszufüllen, wurden die sogenannten "Gefangenen" zu Hause verhaftet und dann in ein nachgebautes Gefängnis in der Uni gebracht.


Die Gefangenen wurden behandelt, wie es damals in den USA üblich war. Sie gaben ihre Kleider ab, wurden entlaust, ihnen wurden Nummern zugewiesen. Den Wärtern wurde die Aufgabe gegeben, diese Gefangenen zu bewachen und für Ordnung zu sorgen.


Doch genau das Gegenteil trat ein. Die Situation eskalierte schnell.

Schon am ersten Tag war zu beobachten, dass die Wärter die Gefangenen Liegestützen machen ließen und dabei ihren Fuß auf den Rücken der Gefangenen stellten. Die Aggressionen auf beiden Seiten waren schon am ersten Tag deutlich spürbar.


Auslöser für die Eskalation war das, was Sozialpsychologen „Deindividuation“ nennen. Die Teilnehmenden werden durch die Situation ihrer Individualität beraubt.

Nur noch die Rolle zählt. Das heißt, die Wärter tragen die entsprechende Uniform. Die Gefangenen in dem Experiment mussten von vornherein alle individuellen Kleidungsstücke abgeben, wie es damals dort im richtigen Gefängnis üblich war.

Dadurch verliert man das persönliche Verantwortungsgefühl. Das führt dann in solchen Situationen ganz stark dazu, dass soziale Normen, die normalerweise unser Verhalten kontrollieren, außer Kraft gesetzt werden.


Schon am Morgen des zweiten Tages kam es zu einem Aufstand unter den Gefangenen, auf den die Wärter wiederum mit harten, sadistischen Strafmaßnahmen reagierten. Sie spritzten Trockeneis in die Zellen der Gefangenen, zogen sie nackt aus oder ließen sie Kloschüsseln mit den bloßen Händen putzen.

Anderen Gefangenen billigten sie eine Vorzugsbehandlung zu. Ein bisschen besseres Essen zum Beispiel, wobei Vorzug auch einfach heißen konnte: Sie durften sich waschen, Zähne putzen und durften, wann sie wollten, auf die Toilette gehen.

Dies sollte auch dazu dienen, die Gefangenen untereinander zu spalten.


Zwei Wochen sollte der Versuch dauern, nach sechs Tagen jedoch sah sich Experimentleiter Phil Zimbardo  dazu gezwungen, ihn abzubrechen. Der Grund war nicht nur die Eskalation.

Zimbardo begann vielmehr zu spüren, dass er selbst seine Neutralität verlor!

Er musste dieses Experiment abbrechen, weil er gemerkt hat, dass die Macht der Situation so groß war, dass er selbst ebenfalls diese sadistischen Gefühle entwickelte. Das Gefühl, man muss die Gefangenen jetzt in ihre Schranken weisen, man muss die „fertig machen“, diese Gefangenen, die ungehorsam sind und sich nicht den Regeln unterwerfen.


Die Aussagekraft des Experiments wird heute in der Fachwelt übrigens infrage gestellt!

Da der Versuchsleiter selbst Teil des Rollenspiels war, habe er möglicherweise darauf Einfluss genommen, wie die Versuchspersonen ihre Rollen ausübten.

Spätere Interviews mit Beteiligten ergaben auch, dass Zimbardo den Wärtern Vorgaben gemacht und ihnen schon im Vorfeld erklärt hat, was das Experiment am Ende beweisen soll. Das ergaben Recherchen des französischen Filmemachers und Buchautors Thibault Le Texier.

Später wurde dieses Experiment nur noch selten wiederholt, und dabei kam es teilweise zu abweichenden Ergebnissen.


Trotzdem hatte das Experiment reale Folgen.

In den USA setzte eine Diskussion ein, die Gefängnisse anders zu gestalten und Gefangene weniger ihrer Persönlichkeit zu berauben, um die Gefahr solcher Eskalationen zu mindern.


Die allgemeine Erkenntnis, wie sehr Gruppenverhalten und Situationszwänge normale Menschen zu Sadisten machen können, hat auch zu Veränderungen bei uns geführt.

Sie werden etwa bei der Offiziersausbildung der Bundeswehr berücksichtigt, um die angehenden Befehlshaber zu sensibilisieren.


P.S. Der deutsche Film "Das Experiment" übertreibt übrigens: Ganz so drastisch, wie dort dargestellt, war es in Wirklichkeit nicht. Philip Zimbardo selbst hat juristisch sogar durchgesetzt, dass der Film nicht beanspruchen darf, von einer "wahren Begebenheit" zu handeln.

Quelle: swr.de


Vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,

Richard


P. S. Ich habe ausschließlich die maskuline Schreibweise verwendet, weil alle Beteiligten des beschriebenen Experiments männlich waren.

von Richard Petersen 17 Mai, 2024
Good vibes only?
von Richard Petersen 10 Mai, 2024
Der Fluch der ständigen Erreichbarkeit
von Richard Petersen 03 Mai, 2024
Wenn Vorurteile den Fortschritt behindern
von Richard Petersen 26 Apr., 2024
Wenn du emotional abhängig bist...
von Richard Petersen 19 Apr., 2024
Der Matthäus-Effekt!
von Richard Petersen 12 Apr., 2024
Damit eine Psychotherapie erfolgreich ist.
von Richard Petersen 05 Apr., 2024
Wenn dein Kind hochbegabt ist.
von Richard Petersen 28 März, 2024
Zuschauen aber nicht helfen!
von Richard Petersen 22 März, 2024
Das Phänomen der falschen Erinnerungen
von Richard Petersen 15 März, 2024
Wenn der Nachtschreck in die Glieder fährt
Weitere Beiträge
Share by: