Hypnosepraxis am Sachsenwald       Richard Petersen 

Psychotherapie / Hypnosetherapie                                                   21465 Reinbek, Am Rosenplatz 8                               

Das hast du gut gemacht

Richard Petersen • Jan. 26, 2024

Über den richtigen Umgang mit Lob

Das ist schon so eine Sache mit dem Lob. Man ist stolz auf jemanden, möchte seine Freude und Anerkennung zum Ausdruck bringen.

Aber wie so oft im Leben, so gilt auch hier: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.

Die Art und Weise wie ein Kind gelobt wird, trägt ganz entscheidend zu seiner Entwicklung bei. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern ihre Worte bewusst und mit Bedacht wählen – denn nicht jedes Lob hat einen positiven Effekt.

“Toll!” “Super!” “Prima hast du das gemacht!”

Die Mütter auf dem Spielplatz schienen sich gegenseitig übertrumpfen zu wollen, als sie ihren Kindern lobende Worte zuriefen. Die Kleinen waren abwechselnd immer wieder die Rutsche hochgeklettert und heruntergerutscht. Es fiel ihnen nicht schwer. Man konnte ihnen ansehen, dass sie das schon viele Male gemacht hatten.

An der Szene war jedoch noch etwas anderes auffällig. Die Dynamik der rutschenden Kinder kam immer wieder ins Stocken. Man musste schon genau hinsehen, um es zu bemerken. Nach jedem Rutschen hielten die Kinder ganz kurz inne und sahen zu ihren Müttern. Erst wenn sie das ersehnte “Prima!” hörten, liefen sie los, um noch einmal die Rutsche zu erklimmen.

Auf einmal war ganz deutlich zu erkennen, was an diesem Bild so falsch war. Die Kinder rutschten nicht mehr nur, weil es Spaß machte. Sie rutschten auch für ihre Mütter. Sie rutschten, weil es ihren Müttern so sehr zu gefallen schien.

Wenn man sich einmal bewusst macht, wie geradezu "rücksichtslos" wir Kinder loben, wird schnell klar, dass wir ihnen damit keinen Gefallen tun.

Die Art und Weise wie ein Kind gelobt wird, trägt ganz entscheidend zu seiner Entwicklung bei.

Lob kann ein Kind zu einem selbstbewussten, aber auch selbstkritischen, neugierigen, fleißigen und vor allem glücklichen Menschen machen, der spürt, dass er um seiner selbst willen geliebt wird – und nicht für etwas, das er tut.

Lob kann aber genauso auch demotivieren, Ängste und Sorgen schüren, Unehrlichkeit fördern und einen Menschen hervorbringen, der sein Leben lang nach Halt und Anerkennung in der Welt sucht.

Das klingt dramatisch. Und das ist es auch.

Im Umgang mit Kindern ist es immer wichtig, sich der Wirkung seiner Worte bewusst zu sein. Wir Eltern wissen zwar, dass wir unsere Kinder bedingungslos lieben – unsere Kinder wissen das aber nicht automatisch.

Sie müssen sich rückversichern, genau beobachten, wie wir uns verhalten und gut zuhören, wenn wir mit ihnen sprechen.

Und das tun sie – aufmerksamer als es vielen bewusst ist.

Der Schlüssel zu einer glücklichen Kindheit lässt sich auf eine einfache Formel herunterbrechen: Nur ein Kind, das bedingungslos geliebt wird – und nicht, weil es ein bestimmtes Verhalten zeigt – kann sein volles Potenzial entfalten und selbstbewusst und zufrieden durchs Leben gehen.

Du fragst dich, was das mit dem richtigen Lob zu tun hat?

Es gibt ganz wenige Kinder auf der Welt, die das Glück hatten, um ihrer selbst willen geliebt zu werden. Und diese Kinder zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie sich nicht anstrengen müssen um in der Welt Bedeutsamkeit zu erlangen.

Anstrengung – das ist hier das Schlüsselwort. Kinder wollen um jeden Preis von ihren Eltern gesehen werden. Sie würden so ziemlich alles tun, um ihnen zu gefallen. Sie verbiegen sich sogar richtig, um die ersehnte Anerkennung zu bekommen. Und deshalb ist es so wichtig, Worte mit Bedacht zu wählen.

Das gilt ganz besonders auch für den richtigen Umgang mit Lob.

Wir neigen dazu, unseren Kindern vor allem dann Aufmerksamkeit zu schenken, wenn sie besondere Leistungen vollbracht oder sich gut benommen haben.

Wir sagen dann Sätze wie: “Prima, dass du so artig warst!” Oder: “Toll, wie hoch du geklettert bist!”

Fällt dir etwas auf?

Immer wieder bewerten wir die Handlungen des Kindes positiv, wenn sie uns gefallen.

Und so lernt es mit der Zeit, dass unser Lob – oder anders gesagt, die besondere Aufmerksamkeit, die wir ihm in diesem Moment schenken – an eine Leistung geknüpft ist, die es vollbracht hat.

Das Kind kann so den Eindruck gewinnen, dass es sich die Liebe der Eltern verdienen muss. Dass es mehr geliebt wird, wenn es bessere Leistungen erbringt. Besonders in der  Schule kann das zu einem großen Problem werden.

Den wenigsten Eltern ist bewusst, dass sie ihr Kind durch falsches Lob konditionieren. Natürlich haben sie nur Gutes im Sinn. Achtet man jedoch nicht genau auf die Wortwahl, kann sich ein gut gemeinter Satz auch negativ auf ein Kind auswirken.

Der berühmte dänische Familientherapeut Jesper Juul (1948-2019) war einer von vielen Erziehungsexperten, die vor den Gefahren von übermäßigem Lob warnten:

“Lob schüttet Lusthormone aus, und danach werden Kinder süchtig. Verstehen Sie mich nicht falsch: Man kann seine Kinder Tag und Nacht loben. Die Frage ist nur: Was passiert dann? Wenn man ein Kind will, das einfach nur funktioniert, ohne nachzudenken, ist Lob eine praktische Sache.”

Hier sind einige Beispiele dafür:

1. “Toll!”, “Prima!”, “Super!”

Vor allem sehr kleine Kinder werden auf diese Weise häufig mit Lob überschüttet. Die Erwachsenen wollen sich eigentlich nur mit den Kleinen freuen.

Stattdessen bewerten sie die Kinder jedes Mal, wenn sie einen Stein auf den anderen stapeln, Sand in einen Eimer füllen oder auch nur ein lautes Geräusch erzeugen. Das tut den Kindern aber nicht gut.

“Dauerlob ist mit das Schlimmste, was man machen kann”, sagt Professor Klaus Hurrelmann. Der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsforscher erklärt: “Das Kind verliert die Maßstäbe und weiß dann gar nicht, was gut und schlecht ist. Und dann hat es auch keinen Anhaltspunkt dafür, wie es sich verbessern kann.”

Wer nicht stumm neben seinem spielenden Kind sitzen möchte, kann zum Beispiel beschreiben, was er sieht: “Du hast die Steine aufeinandergestapelt.” “Jetzt ist der Sand im Eimer.” “Das war aber laut.”

2. “Das hast du gut gemacht!”

Dieser Satz ist nicht besser, als dem Kind zu sagen: “Das hast du schlecht gemacht.” Egal, was das Kind in dem Fall getan hat – ein Bild gemalt, eine Sandburg gebaut, eine Rutsche hinaufgeklettert – seine Handlung wird bewertet.

Das Kind braucht von seinen Eltern aber gar keine Bewertung. Was es braucht, ist das Gefühl, gesehen zu werden. Für das Kind wäre folgender Satz viel wertvoller:

“Ich sehe, dass du ganz oben bist. Du hast es geschafft!” Auf diese Weise können die Eltern sich mit dem Kind freuen – ohne es zu manipulieren.

3. “Super, dass du dein Spielzeug mit den anderen Kindern teilst.”

Auch hier wird das Kind wieder für eine Handlung gelobt. Interessant ist an diesem Beispiel vor allem, dass ein solches Lob dazu führen wird, dass das Kind seltener teilt – insbesondere dann, wenn die Eltern nicht hinschauen.

Die Wissenschaftlerin Joan Grusec von der University of Toronto kam in einer Studie zu einem erschreckenden Ergebnis. Sie konnte belegen, dass Kinder, die immer wieder hörten: “Toll, dass du geteilt hast”, oder “Ich bin so stolz, dass du anderen hilfst” viel seltener mit anderen teilten oder ihnen halfen, wenn kein Erwachsener in der Nähe war, um sie für ihr Verhalten zu loben.

Diese positiven Handlungen waren zu etwas geworden, das sie taten, um Anerkennung zu bekommen – nicht, weil sie Freude daran hatten.

Anders verhält es sich, wenn wir das Kind darauf aufmerksam machen, wie wertvoll sein positives Handeln ist: “Guck mal, der Junge freut sich richtig, weil er mit deinem Bagger spielen darf.”

4. “Du bist so schlau.”

Ein Kind, dem immer wieder gesagt wird, dass es besonders intelligent ist, kann schnell das Gefühl bekommen, keine Kontrolle über diese Eigenschaft zu haben.

Es begreift nicht, wie es die Intelligenz verbessern kann, merkt aber gleichzeitig, dass es viele Dinge gibt, die es nicht weiß. Manche Kinder entwickeln daraufhin eine große Angst, dass sie ihre Eltern enttäuschen könnten. Was, wenn Mama und Papa merken, dass ich doch nicht so klug bin?

Eine Folge ist, dass Kinder, die für ihre Intelligenz gelobt werden, häufiger lügen oder in der Schule schummeln. Das haben Forscher um Dr. Kang Lee an der University of Toronto festgestellt.

Auch Dr. Carol Dweck, eine führende Forscherin auf dem Gebiet, hat untersucht, was mit Kindern passiert, denen gesagt wird, dass sie schlau sind.

Sie teilte Fünftklässler in zwei Gruppen auf und stellte ihnen eine einfache Aufgabe. Anschließend wurde den Kindern der einen Gruppe gesagt, dass sie "schlau" seien. Den Kindern der anderen Gruppe hingegen wurde gesagt: “Du hast dich wirklich angestrengt!”

Anschließend bekamen die Kinder eine weitere Aufgabe und sie durften sich aussuchen, ob diese schwerer oder einfacher als die erste Aufgabe sein sollte.

Die Kinder der ersten Gruppe wollten die einfachere Aufgabe. Die Kinder der zweiten Gruppe wollten zu 90 Prozent die schwierigere Aufgabe lösen.

Was war passiert? Dieser fast schon subtile Unterschied des Lobs hatte dazu geführt, dass die Kinder sich vollkommen anders verhielten.

Offenbar war den Kindern der ersten Gruppe das Risiko zu groß, dass sie scheitern könnten. Sie wollten weiterhin als “schlaue” Kinder wahrgenommen werden. Die Kinder der zweiten Gruppe hingegen trauten sich die Herausforderung zu, denn sie hatten die Anerkennung für ihre Bemühungen bekommen.

Da die Kinder ihre Bemühungen aktiv steuern können – ihre Intelligenz aber nicht – werden sie nur dann zum Lernen motiviert, wenn dieses Verhalten anerkannt wird.

Dr. Carol Dweck bezeichnet diese unterschiedlichen Denkmuster als “fixed mindset” (feste Mentalität) und “growth mindset” (Wachstumsmentalität).

Kinder mit einem “fixed mindset” glauben, dass Dinge wie Kreativität, Intelligenz und Charaktereigenschaften angeboren sind. Deshalb gehen sie davon aus, dass diese Dinge nicht verändert oder verbessert werden können.

Kinder mit einem “growth mindset” hingegen sehen ihr Gehirn als einen Muskel an, der trainiert werden kann und dadurch stärker wird. Sie glauben, dass ihre Fähigkeiten sich verbessern, wenn sie sich bemühen.

Deshalb haben sie keine Angst vor Herausforderungen.

All diese Beispiele zeigen, warum es sich lohnt, unsere Worte mit Bedacht zu wählen und mit Lob sehr sorgsam umzugehen. Kinder wollen von uns wahrgenommen werden und nicht ständig Gegenstand unserer Beurteilung sein.

Wir möchten, dass unsere Kinder ihre eigenen Gedanken und Meinungen zum Ausdruck bringen.

Wir möchten, dass sie sich Herausforderungen freudig entgegenstellen.

Wir möchten, dass unsere Kinder sich über ihre eigenen Erfolge freuen können und stolz auf das sein können, was sie vollbracht haben.

Doch wir nehmen ihnen diese Möglichkeiten, wenn wir ihnen ständig unsere Beurteilung aufdrängen.

Das soll nicht heißen, dass wir unsere Kinder nicht mehr loben dürfen, oder dass wir uns nicht mit ihnen freuen sollen.

Im Gegenteil: Indem wir achtsam mit unseren Worten umgehen, ermöglichen wir unseren Kindern eine viel größere Freude, nämlich die Gewissheit, dass ihre Entwicklung fortlaufend ist und das sichere Gefühl, dass sie sich auf sich selbst verlassen können.

Kinder, die das erleben dürfen, sind frei. Mehr kann man seinem Kind doch gar nicht wünschen.

Vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,

Richard

P. S. Wenn ich die maskuline Schreibweise verwendet habe, diente dies ausschließlich der besseren Lesbarkeit. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.

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