Zwischen Himmel und Hölle
Die Wahrheit über die bipolare Störung
Es gibt Menschen, die in einem Moment die Welt umarmen könnten – voller Energie, Euphorie und Tatendrang – und sich wenig später wie in einem dunklen Abgrund verlieren, gelähmt von Traurigkeit, Zweifel und Antriebslosigkeit. Was für Außenstehende schwer zu fassen ist, ist für Betroffene oft eine tägliche Realität: "Die bipolare Störung".
Die bipolare Störung – früher auch als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet – ist eine schwere psychische Erkrankung, die durch extreme Stimmungsschwankungen gekennzeichnet ist. Betroffene erleben Phasen, in denen sie sich ungewöhnlich euphorisch, überaktiv oder gereizt fühlen (manische oder hypomane Episoden), gefolgt von tiefen depressiven Episoden mit Antriebslosigkeit, Traurigkeit und Selbstzweifeln. Diese beiden Pole – die Hochstimmung und der Tiefpunkt – geben der Störung ihren Namen: bipolar.
Die zwei Hauptphasen:
- Manie: In dieser Phase sind Betroffene ungewöhnlich energiegeladen. Sie schlafen kaum, sprechen schnell, wirken übermäßig selbstbewusst und treffen manchmal riskante Entscheidungen – etwa hohe Geldausgaben, sexuelle Abenteuer oder berufliche Wagnisse.
- Depression: Nach dem Hoch folgt oft der Fall. Die Energie weicht einer lähmenden Schwere. Alles erscheint sinnlos, alltägliche Aufgaben werden zur Qual. In schweren Fällen können sogar Suizidgedanken auftreten.
Zwischen diesen Extremen gibt es oft auch stabile Phasen, in denen Betroffene symptomfrei leben können. Ein Hoffnungsschimmer, aber auch ein trügerisches Gefühl der Normalität.
Das Leben mit einer bipolaren Störung ist für Betroffene und Angehörige oft ein ständiges Ringen um Stabilität. Beziehungen, Arbeit, Freundschaften – all das kann unter den heftigen Stimmungsschwankungen leiden. Dabei ist die Erkrankung keineswegs selten. Etwa 1–2 % der Bevölkerung leiden im Laufe ihres Lebens daran, oft beginnt sie schon im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter.
Der Umgang mit der Störung erfordert in der Regel eine Kombination aus Medikamenten (v. a. sogenannte Stimmungsstabilisierer wie Lithium), Psychotherapie und – ganz wichtig – Wissen über die eigene Krankheit. Denn wer frühzeitig Warnzeichen erkennt, kann Rückfälle oft abfangen.
Viele kennen sie als die ikonische Prinzessin Leia aus Star Wars. Doch Carrie Fisher war mehr als nur ein Filmstar. Sie war auch eine der ersten prominenten Stimmen, die öffentlich über ihre bipolare Störung sprach.
Fisher beschrieb ihre manischen Phasen als elektrisierend: „Man fühlt sich wie ein Superheld, der keine Pause braucht“, sagte sie einmal in einem Interview. Doch die Abstürze danach seien umso grausamer gewesen. Alkohol und Drogen kamen hinzu, oft als Versuch, die extreme innere Spannung zu betäuben. Ihre manischen Phasen beschrieb sie als „kreativen Rausch“, ihre Depressionen als „Käfig ohne Tür“.
Statt zu schweigen, nutzte Fisher ihre Bekanntheit, um aufzuklären. Mit Humor, Selbstironie und schonungsloser Offenheit schrieb sie Bücher über ihre Erfahrungen – darunter das autobiografische Werk "Wishful Drinking", das später auch als Bühnenstück und TV-Dokumentation umgesetzt wurde. Sie wurde zu einer Ikone der Enttabuisierung psychischer Erkrankungen.
Wenn es eine Gestalt gibt, die das Spannungsfeld zwischen kreativem Höhenflug und seelischem Abgrund verkörpert, dann ist es Vincent van Gogh. Der niederländische Maler, der heute zu den berühmtesten Künstlern der Welt zählt, lebte ein Leben im Schatten seiner inneren Kämpfe – und schuf zugleich Werke, die in ihrer Ausdruckskraft bis heute Menschen berühren.
Van Gogh litt unter heftigen Stimmungsschwankungen, die viele Forscher und Psychiater heute als Symptome einer bipolaren Störung deuten. In seinen Briefen an seinen Bruder Theo, die einen einzigartigen Einblick in seine Psyche geben, beschreibt er intensive Hochphasen, in denen er förmlich vor Ideen und Energie überquoll. Innerhalb weniger Wochen schuf er in solchen manischen Episoden bis zu zwei Bilder pro Tag – darunter Meisterwerke wie Die Sternennacht, Das Schlafzimmer oder Sonnenblumen.
Doch diese Phasen waren nicht von Dauer. Immer wieder stürzte van Gogh in tiefe Depressionen. In diesen Zeiten mied er Menschen, zweifelte an seinem Talent, fühlte sich wertlos. Er wurde gereizt, verunsichert, sozial isoliert. Seine Seelenzustände schwankten unberechenbar, begleitet von Albträumen, Ängsten und auch Halluzinationen.
Der bekannteste Zusammenbruch erfolgte 1888, als er sich im Wahn einen Teil seines Ohrs abschnitt. Nach diesem Vorfall ließ er sich freiwillig in eine psychiatrische Klinik in Saint-Rémy-de-Provence einweisen. Dort, abgeschottet von der Außenwelt, malte er weiter – und schuf unter anderem Die Sternennacht, ein Bild, das heute als Sinnbild seiner inneren Welt gilt: bewegte Himmel, glühende Sterne, ein Dorf in der Dunkelheit. Schönheit und Schmerz – untrennbar vereint.
Van Gogh starb 1890 im Alter von nur 37 Jahren durch eine Schussverletzung, vermutlich durch Suizid. Zu Lebzeiten verkaufte er kaum ein Bild. Erst nach seinem Tod wurde sein Werk weltberühmt.
Heute gilt van Gogh nicht nur als Malergenie, sondern auch als Symbolfigur für das tiefe Leid psychisch erkrankter Menschen.
Die bipolare Störung ist kein „verrückt sein“. Sie ist eine ernstzunehmende aber behandelbare psychische Erkrankung mit genetischen, neurobiologischen und psychosozialen Ursachen. Betroffene haben nicht zu viel Gefühl, sondern ein Nervensystem, das Emotionen auf besonders extreme Weise reguliert.
Was sie brauchen, ist kein Mitleid, sondern Verständnis, Behandlung und ein Umfeld, das sie nicht auf ihre Krankheit reduziert.
Wenn du glaubst, selbst unter extremen Stimmungsschwankungen zu leiden, oder jemanden kennst, auf den die Beschreibung zutrifft, dann ist der wichtigste Schritt: Sprich darüber. Mit einem Arzt, einem Therapeuten oder einer anderen Person deines Vertrauens. Es gibt Hilfe. Die bipolare Störung mag zwischen Himmel und Hölle schwanken, aber mit der richtigen Unterstützung ist ein stabiles Leben möglich.
Was hilft?
- Früherkennung: Je schneller die Diagnose gestellt wird, desto besser lassen sich Rückfälle verhindern.
- Medikamente: Stimmungsstabilisierer wie Lithium, Antidepressiva oder Antipsychotika.
- Psychotherapie: Besonders kognitiv-behaviorale und achtsamkeitsbasierte Verfahren sind wirksam.
- Psychoedukation: Zu verstehen, was im eigenen Körper passiert, gibt Kraft und Kontrolle zurück.
- Tagesstruktur & Schlafhygiene: Stabilität im Alltag wirkt stabilisierend auf die Stimmung.
Hilfreiche Links und Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige:
- Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS)
Informationen, Selbsthilfegruppen, Veranstaltungen - Neurologen und Psychiater im Netz
Medizinisch fundierte Infos über Symptome, Diagnose und Therapie - Telefonseelsorge – anonym und kostenlos: 0800 111 0 111
24/7 Hilfe bei Krisen oder Suizidgedanken - Bipolar-Forum.de
Austausch mit anderen Betroffenen im geschützten Rahmen - psychenet.de
Interaktive Tools zur Selbstbeobachtung und Entscheidungshilfe
Die bipolare Störung ist eine Achterbahnfahrt des Geistes – manchmal beängstigend, oft unverständlich, aber auch voller menschlicher Tiefe. Betroffene sind nicht „verrückt“, sondern kämpfen mit einem sensiblen Nervensystem, das auf Höchstleistung und Zusammenbruch gleichermaßen programmiert ist.
Doch mit dem richtigen Wissen, medizinischer Unterstützung und einem verständnisvollen Umfeld können Betroffene lernen, ihr Leben zurückzuerobern. Nicht trotz – sondern mit ihrer Erkrankung.
In diesem Sinne, vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,
Richard
P. S. Die maskuline Schreibweise dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.