Hypnosepraxis am Sachsenwald       Richard Petersen 

Psychotherapie / Hypnosetherapie                                                   21465 Reinbek, Am Rosenplatz 8                               

Ich will das nicht machen! Aber ich muss.

Richard Petersen • Mai 12, 2023

Wenn Zwänge das Leben beherrschen

Endlich hat er das Haus verlassen. So viele Rituale hat er bereits hinter sich, bevor er nun endlich draußen vor seiner Haustür steht.

Zehnmal hat er kontrolliert, ob er die Kaffeemaschine ausgestellt hat.

Es musste zehnmal sein!

Natürlich hat er auch kontrolliert, ob er alle Fenster geschlossen hat. Mehrfach. Er hat alle Fenstergriffe angefasst um ganz sicher zu gehen. Vorsichtshalber hat er ein Fenster wieder geöffnet und nochmals geschlossen, damit es auch ganz bestimmt zu ist. Und weil er das getan hat, musste er alle Fenster nochmals öffnen und wieder schließen.

Ähnlich ergeht es ihm täglich mit Wasserhähnen, Lampen und dem Herd.

Das Haus zu verlassen wird zu einer ständigen Qual. Aber jetzt kann er endlich los.

Er verschließt seine Haustür immer wieder neu, bis er dieses ganz bestimmte Klicken im Türschloss hört, dass ihm versichert, die Tür richtig verriegelt zu haben.

Sobald er losgefahren ist überkommen ihn Zweifel. Angst schleicht sich in sein Gehirn.

Ist die Kaffeemaschine wirklich aus? Hat er wirklich den Stecker gezogen?

Wenn nicht könnte es einen Kurzschluss geben und das Haus brennt ab.

Also kehrt er vorsichtshalber um, damit er sich versichern kann. Manchmal muss er sogar mehrmals umkehren und möchte sein Heim am liebsten gar nicht mehr verlassen, weil seine Ängste zu stark sind.


Die meisten Menschen kennen den unbehaglichen Gedanken nach Verlassen des Hauses, ob sie die Kaffeemaschine oder den Herd wirklich ausgeschaltet haben.

Symptomatisch für Menschen mit einer Zwangsstörung ist, dass sie diese Gedanken als unerträglich empfinden.

Die Betroffenen befürchten, dass durch ihre Schuld ein schreckliches Unheil eintritt.

Um dieses Unheil zu verhindern, überprüfen sie immer und immer wieder z. B. die Kaffeemaschine.

Doch ganz sicher sind sie sich nie. Sobald sie sich entfernen, tauchen erneut angstvolle Gedanken auf und sie müssen die Kaffeemaschine erneut überprüfen. Menschen mit einer Zwangsstörung leiden massiv unter ihrem Verhalten.


Bei der oben beschriebenen Zwangsstörung handelt es sich um den Kontrollzwang. Betroffene wissen genau, dass ihr Verhalten vollkommen irrational ist, sind aber nicht in der Lage, es zu ändern. Lange versuchen sie sich gegen die Gedanken oder Handlungen zu wehren. Aber schließlich „müssen“ sie dem Zwang nachgeben.

Die Kontrollhandlungen werden häufig bis zur völligen Erschöpfung wiederholt.


Nicht jedes Ritual ist zwanghaft! Ein bisschen zwanghaftes Verhalten steckt in jedem Menschen. Der Übergang vom normalen Verhalten zur Zwangsstörung ist fließend.

Grundsätzlich gilt, dass eine Zwangsstörung dann vorliegt, wenn die Betroffenen darunter leiden und/oder in ihrem Alltag massiv eingeschränkt sind.

Unterschieden werden Zwangsgedanken zu denen auch Zwangsimpulse zählen und Zwangshandlungen.

Nicht allen Zwangsgedanken müssen dabei auch immer Zwangshandlungen folgen. Manche Menschen leiden auch am sog. Grübelzwang. (pathologisches Grübeln) mit geradezu endlosen Gedanken, die die eigene Entschlussfähigkeit erheblich einschränken.

Zwangsimpulse, die häufig gewalttätige Inhalte haben, werden nahezu niemals in die Tat umgesetzt.

(„Da liegt das Messer. Ich nehme es jetzt und stoße es ihr in den Rücken.“)

Annähernd 3 % der Menschen in Deutschland erkranken in ihrem Leben an einer Zwangsstörung. Mit ca. 60 % gilt der Kontrollzwang als häufigste Art, gefolgt vom Waschzwang, von dem etwa 50 % betroffen sind. Gefolgt von Zwang zur Symmetrie, Ordnung, Zählen usw. Die meisten Menschen allerdings leiden an multiplen Zwängen.


Häufig beginnt eine Zwangsstörung bereits im Kindes- oder Jugendalter. Etwa 50 % der Betroffenen zeigen bereits vor dem 15. Lebensjahr erste Symptome einer Zwangsstörung. Sie manifestiert sich jedoch erst im frühen Erwachsenenalter.


Was sind die Ursachen für eine Zwangsstörung?

Wie die unterschiedlichen Arten von Zwangsstörungen entstehen, ist nicht vollständig geklärt.

Familienuntersuchungen und Zwillingsstudien zeigen, dass es – wie bei den meisten psychischen Erkrankungen – eine erbliche Vorbelastung für die Zwangsstörung gibt. Damit sich eine Zwangsstörung manifestiert müssen jedoch weitere Faktoren hinzukommen.

Auslöser einer Zwangsstörung sind häufig belastende Ereignisse. Jede psychische Überforderung erzeugt den Wunsch nach Kontrolle. Wenn eine Situation für die Person jedoch nicht zu bewältigen ist, dienen Zwangshandlungen häufig dazu, Sicherheit zu verschaffen

Manchmal trägt die Erziehung zur Entstehung einer Zwangsstörung bei. Überbehütendes Verhalten der Eltern verunsichert Kinder. Auch Eltern, die sehr kritisch mit Kindern sind oder nahezu perfektionistische Ansprüche haben, fördern möglicherweise zwanghaftes Verhalten bei Kindern.

Auch psychotische Erkrankungen wie die Schizophrenie können Zwangsstörungen auslösen, ebenso wie hormonelle Störungen. Aber auch einige Medikamente können als Nebenwirkung eine Zwangsstörung auslösen.


Was passiert bei einer Zwangsstörung eigentlich im Gehirn?

Zwangshandlungen dienen immer der Abwendung einer Gefahr. Ob eine Gefahr besteht entscheidet in unserem Gehirn die Amygdala. Sie überprüft unmittelbar Situationen daraufhin ab, welche Erfahrungen wir damit bereits gemacht haben. Bei guten Erfahrungen meldet die Amygdala: Keine Gefahr, alles okay. Bei schlechten Erfahrungen schlägt sie Alarm.

Bei Menschen mit einer Zwangsstörung ist diese Gefahrenmeldung gestört. Die Amygdala meldet Alarm obwohl keine Gefahr besteht. Wenn Betroffene als Reaktion auf eine Gefahr, die gar nicht besteht, mit einem zwanghaften Ritual reagieren, erhält die Amygdala die Bestätigung, dass es tatsächlich eine Bedrohung gab und sie zu Recht Alarm geschlagen hat.


Welche Behandlungsmöglichkeiten werden empfohlen?

Eine Zwangsstörung ist eine schwere psychische Erkrankung, die bei Betroffenen großen Leidensdruck erzeugt.

Fehlende Einsicht und Scham sind häufig Ursache dafür, dass oft erst nach mehreren Jahren ärztliche oder therapeutische Unterstützung gesucht wird.

Zwangserkrankungen gelten häufig als schwer therapierbar. Eine manifestierte, chronische Zwangsstörung gilt als nicht heilbar.

Mit einer geeigneten Behandlung lassen sich die Auswirkungen einer Zwangsstörung jedoch so weit abmildern, dass ein weitgehend normales Leben wieder möglich wird. Eine Therapie im Frühstadium ist am ehesten erfolgversprechend.


Die nachfolgenden Therapiemethoden sind bitte nicht als meine persönliche Empfehlung zu verstehen. Das Mittel der Wahl ist immer sehr individuell und natürlich auch abhängig von der Ursache einer Zwangsstörung.


Mehrere Studien haben untersucht, wie hilfreich kognitive Verhaltenstherapie und medikamentöse Therapie im Vergleich sind. Diese Studien deuten darauf hin, dass eine kognitive Verhaltenstherapie Betroffene einer Zwangsstörung etwas erfolgreicher scheint als Antidepressiva. Sie gilt daher als bevorzugte Behandlung.

Dennoch gehört eine längerfristige medikamentöse Behandlung zur Standardtherapie bei Zwangsstörungen.


WICHTIG: Bei Zwangsstörungen als Nebenwirkungen von Medikamenten, einer anderen Erkrankung ist eine erneute psychiatrische Konsultation erforderlich. (evtl. antipsychotische Medikamente bei einer Schizophrenie)


Eine verhaltenstherapeutisch orientierte Therapie geht davon aus, dass Zwangsstörungen entstehen durch die negative Bewertung und Vermeidung von sich aufdrängenden Gedanken. Die Kognitive Verhaltenstherapie stellt die Zwangsgedanken infrage, und arbeitet mit der Technik des „Gedankenstopps“.


Hypnotherapie bei Zwangsstörungen

Der hypnotherapeutische Ansatz geht davon aus, dass Zwangsgedanken und Zwangshandlungen Bewältigungsmechanismen sind, unangenehme Emotionen zu unterdrücken.

Dementsprechend ist die Therapie ursachenorientiert. Hypnotherapie zielt auf das Bewusstmachen und das Bearbeiten dieser unbewältigten Emotionen.

Nach erfolgreicher Intervention werden dann keine Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen mehr als unbewusster Abwehrmechanismus benötigt.


Dem unwiderstehlichen Drang, diesen Artikel zu teilen, darfst du übrigens völlig gefahrlos nachgeben. :-)


Viele Grüße

Richard


P.S. Obwohl ich die maskuline Schreibweise verwendet habe, sind selbstverständlich immer alle Geschlechter angesprochen.

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