Hypnosepraxis am Sachsenwald       Richard Petersen 

Psychotherapie / Hypnosetherapie                                                   21465 Reinbek, Am Rosenplatz 8                               

Binge Eating Disorder

Richard Petersen • Juni 02, 2023

Die "unbekannte" Essstörung

Heute ist wieder so ein Tag. Sie hat Stress. Aber wenn es kein Stress wäre, dann vielleicht Langeweile oder Einsamkeit. Die Motive sind austauschbar und sie wechseln. Jedenfalls ist heute wieder so ein Tag.

Sie hastet durch den Supermarkt. Schmeißt in den Einkaufswagen, was ihr gerade in den Sinn kommt. Sie hat es eilig. Anschließend auf direkten Weg nach Hause und die Pizza in den Ofen schieben. Nein zwei. Die Zeit, bis die Pizzen gar sind, überbrückt sie mit Schokolade. Zum Nachtisch Vanillepudding bevor sie die erste von zwei Chipstüten aufreißt, nur um anschließend noch schnell den einen oder anderen Schokoriegel zu verschlingen.

Eigentlich möchte sie aufhören, alles in sich hineinzuschlingen, aber sie schafft es nicht.

Sie hat mal wieder völlig die Kontrolle verloren. Kein Sättigungsgefühl. Wie betäubt.

Erst nachdem ihr Bauch schmerzt und das Völlegefühl deutlich unangenehm wird, hört sie auf.

Nichts von alldem hat sie mit Genuss gegessen. Sie hatte ja noch nicht einmal Hunger.

Und dann kommt die Scham. Sie ist dann wieder völlig deprimiert und ekelt sich vor sich selbst. Es war mal wieder eine vollkommen würdelose Inszenierung.

Und trotzdem wird sie irgendwann in der nächsten Woche einen neuen Essanfall bekommen.


Sie leidet an der sog. Binge Eating Disorder (BED, vom englischen binge „Gelage“), einer schweren psychischen Erkrankung aus dem Spektrum der Essstörungen.


Wir unterscheiden in Deutschland drei verschiedene Arten von diagnostizierten Essstörungen: Anorexie (Anorexia nervosa = Magersucht), Bulimie (Bulimia nervosa = Ess-Brechsucht) und die Binge Eating Disorder, die durch exzessive und wiederkehrende Essanfälle gekennzeichnet ist.

Obwohl Anorexie und Bulimie gesellschaftlich deutlich präsenter sind, so ist die BED die häufigste Essstörung von der Menschen in Deutschland betroffen sind. Schätzungen gehen von ca. 4 % der Bevölkerung aus. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen, allerdings scheint die Dunkelziffer bei Männern noch deutlich höher zu sein.

Aus Scham suchen längst nicht alle Betroffenen ärztliche oder therapeutische Unterstützung.

Häufig wird erst Hilfe in Anspruch genommen, wenn körperliche Folgen aufgrund von erheblichem Übergewicht entstanden sind. Bei der Behandlung von Adipositas stellt sich dann häufig heraus, dass Betroffene zusätzlich an der BED leiden.


Sidekick: Nicht alle Betroffenen der BED leiden an Adipositas, andererseits sind ca. 20-30 % der Menschen mit Adipositas auch von der Binge Eating Disorder betroffen.


Das Störungsbild wurde bereits 1959 von dem amerikanischen Psychiater Albert Stunkard erstmalig beschrieben.

Als eigenständige Diagnose ist die BED allerdings erst seit 2013 international anerkannt.

Die Binge Eating Disorder ist eine sehr ernst zu nehmende psychische Erkrankung, die unbedingt behandelt werden sollte. Die Essanfälle haben nichts mit Willensschwäche zu tun.


Was sind die diagnostische Kriterien?

  1. Die Essanfälle treten mind. einmal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten auf.

   2.   Betroffene haben keine Kontrolle über die Menge der aufgenommenen Nahrungsmittel.


Zusätzlich müssen mind. drei der folgenden zusätzlichen Symptome vorhanden sein:

  • gegessen wird ohne physisch Hunger zu haben
  • gegessen wird viel schneller als normal
  • aus Scham wird allein gegessen
  • es wird gegessen bis ein unangenehmes Völlegefühl entsteht
  • nach dem Essen stellt sich ein angewidertes, schuldbewusstes Gefühl ein


Die BED beginnt vorwiegend in der Adoleszenz (Endphase des Jugendalters) oder im frühen Erwachsenenalter und kann einen sehr wechselhaften Verlauf nehmen: Nach Phasen, in denen die Essstörung sehr stark ausgeprägt ist, haben Betroffene oft über Monate hinweg keine Symptome. Aber auch zwischen den Essanfällen kann es zu einem „Überessen“ kommen.


Die BED ähnelt der Bulimie, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass bei der BED nach den Essanfällen keine gewichtsregulierenden Maßnahmen (Purging) ergriffen werden.

Der Begriff Purging kommt ebenfalls aus dem Englischen und bedeutet „reinigen, abführen, sühnen“ und umfasst alle Maßnahmen, die bewusst eingesetzt werden, um zugeführte Nahrung schnellstmöglich wieder loszuwerden.


Dazu zählen:

  • selbst herbeigeführtes Erbrechen
  • exzessiver Sport
  • die Einnahme von Abführmitteln (Laxanzien) oder Entwässerungsmitteln (Diuretika)
  • die Einnahme von Schilddrüsenhormonen, um den Stoffwechsel anzukurbeln
  • absichtliches Frieren (zusätzlicher Kalorienverbrauch, um die Körpertemperatur aufrecht zu halten)
  • bei Diabetikern auch das bewusste Weglassen von Insulin (Insulin-Purging)


Was sind typische Ursachen und Auslöser für BED?

Die Entstehung der BED ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen können. Ursachen und Auslöser sollten unterschieden werden, können sich aber überlagern.


Ursachen und Risiken sind unter Anderem häufige Diäten, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie etwa ein geringes Selbstwertgefühl oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, aber auch familiäre Einflüsse wie z. B. Vorbilder für riskantes Essverhalten.

Auslöser dagegen sind Einflüsse, die zum Ausbruch der Krankheit führen bzw. das Auftreten von Essanfällen begünstigen können. Als häufiger Trigger gelten emotionale Probleme, zum Beispiel Einsamkeit, zwischenmenschliche Konflikte oder belastende Ereignisse.

Der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel – wie in den meisten Diäten üblich – führt zu Heißhunger. Von da ist es dann bei manchen Menschen nicht mehr weit zum ersten (unkontrollierten) Fressanfall.


Passend dazu hat die Universität Michigan übrigens 2015 herausgefunden, dass stark verarbeitete Lebensmittel mit einem hohem Salz-, Zucker- und/oder Fettgehalt Heißhunger verstärken und Fressattacken auslösen können. Pizza, Eis, Schokolade, Chips, Kekse und Pommes hatten in einer entsprechenden Studie die stärkste Wirkung.


Was sind die Folgen der Binge Eating Disorder?

Meistens hat eine BED ein starkes Übergewicht zur Folge, das wiederum verschiedene körperliche Erkrankungen begünstigt. Zu den häufigsten zählen dabei Herz-Kreislauf-Störungen, Bluthochdruck, Diabetes sowie Rücken- und Gelenkprobleme.

Die Erkrankung kann Betroffene zudem psychisch und sozial stark belasten:

Menschen mit einer Binge-Eating-Störung schämen sich für ihre Essanfälle und versuchen, sie geheim zu halten.

Daher ziehen sie sich oft zurück und vernachlässigen ihre sozialen Kontakte und Interessen.

Nicht selten treten bei Betroffenen auch weitere psychische Erkrankungen wie eine Depression oder Angststörung auf. Die Essstörung kann diese Probleme verstärken. Umgekehrt können andere psychische Symptome (Komorbiditäten) einen negativen Einfluss auf den Verlauf der Essstörung haben.


Eine Binge-Eating-Störung kann in besonders schlimmen Fällen tödlich verlaufen. Das Sterberisiko (Mortalität) ist nicht so hoch wie bei einer Anorexie, doch im Vergleich zu gesunden Menschen eindeutig erhöht.

Vor allem, wenn zusätzlich eine andere psychische Erkrankung vorliegt, steigt das Risiko für einen Suizid.


Sidekick: Die Anorexie gilt aufgrund ihrer hohen Mortalität (Sterblichkeitsrate ca. 10-15 %) als schwerste psychische Erkrankung.


BEHANDLUNG der Binge Eating Disorder:

Eine BED ist eine Krankheit, die häufig schwer belastet und behandelt werden muss. Dennoch zögern viele Betroffene aus Scham und Angst vor Stigmatisierung, sich professionelle Hilfe zu suchen. Dabei kann eine frühzeitige Therapie die Symptome der Essstörung deutlich lindern oder eine Heilung bewirken.


In der Behandlung geht es darum, die Auslöser für die Essanfälle zu erkennen und ihr Auftreten zu vermeiden. Zudem soll ein gesundes und regelmäßiges Essverhalten aufgebaut werden. Bei übergewichtigen Patientinnen und Patienten kann auch eine Gewichtsabnahme eine Rolle spielen.

Wie eine BED behandelt wird, ist unter anderem abhängig davon, wie schwer die Erkrankung ausgeprägt ist.

Häufig reicht eine ambulante Therapie aus. Bei schwerer Symptomatik oder psychischer oder physischer Komorbidität ist eine stationäre Behandlung ratsam (Adipositas, Depression etc.).

Die BED wird mittels Psychotherapie behandelt. Mittel der Wahl ist die kognitive Verhaltenstherapie. Alternativ wird auch interpersonelle Therapie angeboten.

Therapeutisch angeleitete Selbsthilfe Programme haben sich ebenfalls als wirksam erwiesen.


Ziel der Therapie:
Das Essverhalten normalisieren. Es wird ein gesundes Essverhalten (wieder)erlernt, das vor Essanfällen schützt.

Körper- und Selbstakzeptanz stärken. Es soll erlernt werden, ein positives Körperbild aufzubauen und sich wohler mit sich selbst zu fühlen.

Auslöser von Essanfällen erkennen und Vermeiden. Betroffene lernen, mit negativen Gefühlen umzugehen und Konflikte zielführend zu lösen. Darüber lernen sie, ihre Bedürfnisse zu äußern und Grenzen zu setzen.


Trotz einer erfolgreichen Behandlung kann es zu Rückfällen kommen. Eine längerfristige Begleitung im Rahmen der Nachsorge ist daher bei der Therapie der BED wichtig.

Nach Ansicht von Experten schaffen es ca. ein Drittel der Betroffenen nach einer Therapie ein normales Essverhalten und Heißhungerattacken zu vermeiden. Ein Drittel kann nach Abschluss der Therapie besser mit der Erkrankung umgehen, aber ein Drittel schafft es nicht, die BED zu überwinden.


Hypnosetherapie bei Binge Eating Disorder:

Insbesondere bei psychischer Komorbidität kann eine Hypnosetherapie überaus hilfreich sein, da insbesondere Menschen mit mangelndem Selbstwert, Angststörungen oder Depression auf hypnotherapeutische Interventionen sehr gut ansprechen.

Mittels therapeutischer Hypnose können die Ursachen für eine BED exploriert werden.

Vorhandene Ressourcen werden wieder bewusst gemacht, damit sie den Betroffenen verfügbar sind, die Ursachen und Auslöser der BED zu bearbeiten.

Darüber hinaus ist eine Hypnosetherapie sehr geeignet, nachhaltig ein gesünderes Essverhalten anzustreben.


Für weitere Informationen, Anregungen, Wünsche oder Kritik bin ich wie immer nur eine E-Mail entfernt.


Viele Grüße

Richard


P.S. Aufgrund der besseren Lesbarkeit habe ich die maskuline Schreibweise verwendet. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.

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